Selbstversorgung in Beelitz Heilstätten

Lebensmittel- und Energieversorgung in den Beelitzer Heilstätten

Eine Besonderheit der Heilstätten in Beelitz ist die nahezu vollständige und unabhängige Selbstversorgung. Fast alle Lebensmittel konnten in Anstaltseigenen Einrichtungen produziert werden. Allein die Hauseigene Fleischerei stellte bis zu 3,5 Tonnen Salami und 1,8 Tonnen Schinken im Jahr her. Dafür wurden in den Gutshöfen bis zu 970 Schweine und 295 Rinder im Jahr geschlachtet. Aus dem Bäckereigebäude kamen pro Tag über 3000 frische Brötchen, 100 Brote und Kuchen für etwa 1600 Menschen. Auf den Plantagen am Bahnhof wuchsen Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Erdbeeren und sogar Spargel. Es gab 10 Kartoffelmahlzeiten pro Woche bei einem Verbrauch von ca. 2,5 Tonnen Kartoffeln pro Mahlzeit.

Speisesaal mit Orchestrion (1902)

Zur Kräftigung der Patienten war das Essen üppig und reichhaltig. Zum Mittag gab es zwei Wahlessen mit Fleisch und zum Frühstück gab es Speck, Butter und Harzer Käse. Ein regelrechtes Fest für die armen Arbeiter aus Berlin. In den riesigen Speisesälen der Pavillons passte eine Schwester auf einem Balkon auf, dass die Patienten langsam essen und nicht „schlingen“.

Zubereitung der Speisen am Speisesaal (1902)

Das Essen war sogar so reichhaltig, dass sich die Patienten oft heimlich Reste für Ihre Verwandten und Freunde aus der Hauptstadt einstecken konnten. Bei den steigenden Lebensmittelpreisen wegen der Weltwirtschaftskriese war das damals ein willkommenes Geschenk. Die Besucher kamen immer an den Besuchertagen Mittwochs und Sonntags in Scharen aus Berlin. Am Bahnhof Beelitz Heilstätten wurden sie dann von einem Biergarten, einer Ladenzeile und einem Hotel mit Friseur empfangen. Während die weiblichen Patienten es bevorzugten, mit ihren Angehörigen in den weitläufigen Parkanlagen flanieren zu gehen, zogen es die Männer lieber vor, die Schankwirtschaften im nahegelegenen Städtchen Beelitz aufzusuchen. Alkohol war in den Heilstätten streng verboten.

Bahnhof Beelitz Heilstätten mit Biergarten (1936)

Vielleicht waren die Besuchertage auch die Gelegenheit, dass sich männliche und weibliche Patienten heimlich treffen konnten. Denn die gesamten Beelitzer Heilstätten waren streng nach Geschlechtern getrennt. Sogar das Personal arbeitete in getrennten Einrichtungen. Idealerweise befanden sich die Koch- und Waschküchen in den Frauenarealen, während die Werkstätten, das Kraftwerk und die Kegelbahnen auf der Männerseite ihren Platz fanden. Die Hausordnung der Beelitzer Heilstätten hatten die Wichtigkeit der Geschlechtertrennung gleich im ersten Paragraphen deutlich gemacht: „Jeglicher Verkehr zwischen männlichen und weiblichen Pfleglingen ist untersagt. Aus diesem Grunde ist es auch nicht gestattet, dass männliche und weibliche Pfleglinge durch das die Anstalt umgebene Gitter sich unterhalten und mit einander in Verbindung treten“.

Kochküche auf der Frauenseite (1902)

Beelitz Heilstätten war quasi eine autarke und autonome Kommune. Man hatte so ziemlich alles, was man benötigte, um unabhängig zu sein. Aufgrund der Geschlechtertrennung waren auch die einzelnen Versorgungsbereiche ganz vorbildlich auf die Areale der Frauen und Männer aufgeteilt. So befanden sich die Koch- und Waschküchen auf der Frauenseite und die Werkstätten und Kegelbahn auf der Männerseite. Damit das Essen aus den Kochküchen auch zu den Speisesälen der Männer transportiert werden konnte, kamen in Beelitz Heilstätten völlig neue „Elektro-Fahrzeuge“ zum Einsatz. Man wollte ja die Luft für die Pfleglinge sauber halten. Und das im Jahre 1902!

Elektro-Fahrzeuge (1902)

Das Herzstück der Anlage war das Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Primärenergie. Es war eines der ersten Kraftwerke weltweit. Mit einer ausgeklügelten Kraft-Wärme-Technologie konnte es nicht nur Fernwärme für die 60 Häuser der Heilstätten liefern, es erzeugte auch heißen Wasserdampf und elektrischen Strom mit völlig neuartigen Generatoren. Die Rohrleitungen für Kalt- und Warmwasser sowie die elektrischen Kabel verliefen in einem eigenen Tunnelsystem, das mit zusammen 4 km Tunnelgängen eine kleine Stadt unter den Heilstätten bildete.

Details der einzelnen Einrichtungen

Kraftwerk:

  • 310.654 kW Energieleistung
  • 213.177 Zentner Kohle im Jahr
  • 30-40 t Kohle pro Tag
  • Herstellung von Warmwasser
  • Herstellung von Hochdruckdampf
  • Herstellung von Stangen-Eis
  • Herstellung von Mineralwasser

Vier Tiefbrunnen:

  • 71.9191 cbm Wasser pro Jahr
  • 19 bis 45 Meter tief

Fleischerei:

  • Salami (3,5 tonnen im Jahr)
  • Schinken (1,8 tonnen im Jahr)
  • Speck, Braunschweiger, Zwiebelwurst, Blutwurst, Bratwurst, Schalckwurst, Jagdwurst, Mortadella, Zungenwurst, Leberwurst, Polnische Wurst, Sülze

Bäckerei:

  • 31.584 Brote im Jahr
  • 103 Brote pro Tag
  • 1.045.176 Brötchen im Jahr
  • 3416 Brötchen am Tag
  • 278 Kilo Kuchen am Sonntag

Plantage:

Äpfel (50 tonnen im Jahr), Baumschule, Spargel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Erdbeeren

Gärtnerei:

Beetbepflanzungen, Blumen & Stauden für Dekoration der Stationen

Mästerei:

  • 971 Schweine im Jahr
  • 326 Kälber im Jahr
  • 295 Rinder im Jahr

Kochküchen:

  • Tages-Mahlzeiten für ca. 1600 Menschen
  • 10 Kartoffelmahlzeiten pro Woche
  • 2,5 tonnen Kartoffeln für jede Mahlzeit!

Waschküchen:

  • 716.617 Wäschestücke im Jahr

Die Zentralwäscherei und das Badehaus können mit der Fotobase in Beelitz Heilstätten fotografiert und völlig frei erkundet werden. Bei den Touren zeigen Dir unsere Guides gerne die Zimmer von Inges Verwandten. Die Kochküche befindet sich auf der Seite der Frauen und ist inzwischen wieder saniert. Inge selbst lernten wir im Rahmen unseres go2know-Zeitzeugenprogramms kennen. Ihr Name wurde von der Blog-Redaktion geändert. Inge ist heute 91 Jahre alt.

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